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"Fachliche Standards"

Fachliche Standards

Fachliche Standards

In vielen Städten und Kreisen in Deutschland gibt es Selbsthilfekontaktstellen, die für Selbsthilfeinteressierte und Selbsthilfegruppen themenübergreifend Informationen, Kontakte und Unterstützung auf örtlicher Ebene bieten.

Selbsthilfekontaktstellen unterstützen Selbsthilfegruppen gleich, ob diese einem Dachverband angehören, ob ihre Mitglieder Versicherte einer bestimmten Krankenkasse sind oder ob die Kooperation mit einer bestimmten Berufsgruppe angestrebt wird, gleich auch, um welche Problem- oder Themenbereiche es sich handelt. Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfe-Unterstützungsstellen sind für alle Bürger*innen und bestehenden Selbsthilfegruppen in ihrem Einzugsgebiet offen. Die Angebote von Selbsthilfekontaktstellen sind in der Regel unentgeltlich.

Nachfolgend werden institutionelle Formen der Selbsthilfeunterstützung, Haltung und Merkmale der Einrichtungen sowie fachliche Standards zu Aufgabenbereichen und zu Ausstattung vorgestellt. Hierbei handelt es sich um Empfehlungen zu angemessenen Instrumenten und Ausstattungsmerkmalen, um die Aufgaben der Selbsthilfeunterstützung fachgerecht ausführen zu können.

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Haltung und Leitbild

Die professionelle Selbsthilfeunterstützung hat seit den 1980er Jahren eine neue Fachlichkeit der sozialen Arbeit herausgebildet. Jenseits „klassischer“ Hilfe oder Fürsorge wird auf Emanzipation und Selbstbestimmung, auf Selbstwirksamkeit und Betroffenenkompetenz, auf Empowerment (Selbstermächtigung), auf Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit, auf Solidarität und partnerschaftliche Kooperation gesetzt.

Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfeunterstützungsstellen stärken Eigeninitiative und Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Mitverantwortung sowie die gemeinschaftliche Problemlösungsfähigkeit und Interessenvertretung der Selbsthilfegruppenmitglieder.
Sie bekräftigen das bürgerschaftlichen Engagement der rund 100.000 Selbsthilfegruppen in Deutschland. Denn hier helfen sich Menschen gegenseitig, Erkrankungen oder Probleme gemeinsam zu bewältigen und verfolgen gemeinsame Anliegen. Dabei setzen sich die Selbsthilfeaktiven auch für viele Außenstehende ein, die nicht Gruppenmitglieder sind, wollen eine bessere gesundheitliche und soziale Versorgung erreichen, auf die Lebensbedingungen im Wohnumfeld, am Arbeitsplatz, in Ausbildungseinrichtungen einwirken usw.

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Institutionelle Formen

Die professionelle Selbsthilfeunterstützung durch spezielle Infrastruktur- und Beratungseinrichtungen in Deutschland gibt es in zwei verschiedenen institutionellen Formen: als Hauptaufgabe (HA) durch Selbsthilfekontaktstellen und als Nebenaufgabe (NA) durch Selbsthilfeunterstützungsstellen.

Charakteristik der institutionellen Form „Selbsthilfekontaktstelle (Hauptaufgabe)“
Selbsthilfekontaktstellen sind eigenständige professionelle Beratungseinrichtungen auf örtlicher und regionaler Ebene (im Fall der Selbsthilfekoordinationsstellen auch auf Landes- bzw. Bundesebene). Sie arbeiten fach-, themen- und trägerübergreifend. Das heißt sie sind nicht auf eine bestimmte Problemstellung oder Erkrankung bezogen oder begrenzt (etwa Trennung / Scheidung; Allergie / Asthma; Alkoholabhängigkeit). Sie verfügen über hauptamtliches Personal, Räume und Ressourcen. Selbsthilfekontaktstellen erbringen in aller Regel umfassende Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebote zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Selbsthilfekontaktstellen können auch eine oder mehrere Außenstelle/n unterhalten oder an anderen Orten regelmäßige Außensprechstunden anbieten.

Charakteristik der institutionellen Form „Selbsthilfeunterstützungsstelle (Nebenaufgabe)“
Selbsthilfeunterstützungsstellen arbeiten ebenfalls fach-, themen- und trägerübergreifenden auf örtlicher und regionaler Ebene. Auch sie beziehen sich mit ihrem Angebot nicht auf eine bestimmte Problemstellung / Erkrankung (etwa Ängste; Essstörungen; Krebs; Rheuma). Sie sind jedoch keine eigenständigen professionellen Beratungseinrichtungen, sondern die Unterstützungsarbeit ist als Nebenaufgabe in andere Arbeitsbereiche integriert. Dies ermöglicht in aller Regel nur zeitlich begrenzte Angebote – durchaus auch in Bezug auf die Kernaufgaben der Information, Vermittlung und Beratung. Selbsthilfeunterstützungsstellen gibt es zum Beispiel bei Krankenkassen, Wohlfahrtsverbänden, Volkshochschulen, Universitäten oder kommunalen Behörden und Ämtern. In Einzelfällen, zum Beispiel bei einem sehr großen Einzugsgebiet, können von Selbsthilfeunterstützungsstellen auch Außenstelle/n unterhalten oder an anderen Orten Außensprechstunden angeboten werden.

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Kernaufgaben im Überblick

Selbsthilfekontaktstellen

  • informieren und klären über Selbsthilfegruppen und ihre Arbeitsweisen auf
  • halten eine aktuelle Übersicht zu örtlichen Selbsthilfegruppen bereit
  • stellen den Kontakt zu bestehenden Selbsthilfegruppen her und vermitteln Interessierte
  • stellen Räume und Bürotechnik für Selbsthilfegruppen zur Verfügung
  • unterstützen bei der Gruppengründung und bei der Durchführung von Veranstaltungen
  • beraten zum Vorgehen in der Gruppenarbeit und zu gelingenden Gruppenabläufen
  • ermöglichen und koordinieren den Austausch und die Zusammenarbeit der verschiedenen Selbsthilfegruppen und vernetzen sie
  • beraten und unterstützen bei der Öffentlichkeitsarbeit und eröffnen Kontakte zu Journalist*innen und Medien
  • führen selbst eine intensive Öffentlichkeitsarbeit für die Selbsthilfe allgemein und für die Angebote der Selbsthilfekontaktstelle durch
  • schaffen ein selbsthilfefreundliches Klima und machen Lobbyarbeit
  • führen eigene Fortbildungs-, Informations- und Aufklärungsveranstaltungen zur Selbsthilfe durch und beteiligen sich an Veranstaltungen anderer
  • informieren über finanzielle Fördermöglichkeiten und beraten bei der Antragstellung
  • vermitteln Kontakte zu Fachleuten, Verbänden und Verwaltungen
  • geben Hinweise auf professionelle Versorgungsangebote in der Stadt oder Region
  • kooperieren mit Fachleuten und Institutionen in der sozialen und gesundheitlichen Versorgung, zum Beispiel mit kommunalen Verwaltungen, mit Krankenkassen und anderen Sozialversicherungszweigen, mit Kliniken, mit themenspezifischen Beratungsstellen
  • beteiligen sich an Gremien, Arbeitskreisen / Arbeitsgemeinschaften und Netzwerken vor Ort
  • kooperieren mit Organisationen / Institutionen im Gemeinwesen, zum Beispiel mit lokalen Vereinen, mit Wohlfahrtsverbänden und mit anderen Einrichtungen, die vor Ort die Selbsthilfe und das bürgerschaftliche Engagement fördern.

Für Selbsthilfeunterstützungsstellen (Nebenaufgabe) bestehen grundsätzlich dieselben Kernaufgaben; sie können diese in aller Regel aber nicht voll umfänglich realisieren.

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Konzepte und Handlungsperspektiven für Fachkräfte

Für das professionelle Selbstverständnis und für die praktische Arbeit von Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfeunterstützungsstellen sind folgende Konzepte und Handlungsperspektiven prägend:

  • das Konzept des Empowerment, das sich an den Ressourcen und Kompetenzen der Menschen orientiert, damit sie ihr Leben und ihre Lebenswelt selbst gestalten
  • das gesellschafts- und gesundheitspolitische Konzept der Gesundheitsförderung
  • der Ansatz der Salutogenese
  • die sozialräumlichen Ansätze der Gemeinwesenarbeit
  • die Handlungsperspektive des „bürgerschaftlichen Engagements“, die persönliche, soziale und gesellschaftliche Belange verbindet („Für mich, für uns, für alle“).

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Merkmale und Aufgaben

Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfeunterstützungsstellen haben ganz unterschiedliche Ausstattungen bzw. Kapazitäten. Entsprechend unterschiedlich ist der Umfang der Angebote für Selbsthilfeinteressierte, bestehende Selbsthilfegruppen, Fachkräfte in professionellen Versorgungseinrichtungen und Multiplikatoren*innen. Im Weiteren werden daher die Rolle und zentralen Merkmale, die Kernaufgaben und Entwicklungsfelder, die Konzepte und Handlungsperspektiven hauptsächlich im Hinblick auf die Strukturen und Gegebenheiten von Selbsthilfekontaktstellen (Hauptaufgabe) dargestellt. Manches ist auch für Selbsthilfeunterstützungsstellen (Nebenaufgabe) und Außenstellen unverzichtbar, vieles kann aber von diesen nicht oder nicht im erwünschten Umfang realisiert werden.

In Selbsthilfekontaktstellen informieren und beraten hauptamtliche Fachkräfte Selbsthilfeinteressierte bei der Gruppengründung und bieten den in der Selbsthilfe engagierten Menschen Hilfestellung bei der Gruppenarbeit und in schwierigen Situationen an. Sie helfen den Einzelnen, Gleichgesinnte zu finden, sorgen für die Zusammenarbeit der verschiedenen Selbsthilfegruppen miteinander und unterstützen sie bei der Öffentlichkeitsarbeit. Es werden Räume mit für die Gruppenarbeit relevanter Ausstattung, Literatur und zum Teil Computer- und Bürotechnik und Ähnliches zur Verfügung gestellt oder vermittelt.

Wichtigstes Merkmal von Selbsthilfekontaktstellen ist, dass sie fach-, themen- und trägerübergreifend arbeiten. Jede betroffene Person, die sich mit Gleichbetroffenen zusammenschließen möchte, kann sich mit jedem Problem an diese Einrichtungen wenden, egal ob es um ein gesundheitsbezogenes Anliegen, um psychische Belastungen oder um soziale Probleme geht. Vieles kann für Menschen dabei der Anlass sein, sich an eine Selbsthilfeunterstützungseinrichtung zu wenden: eine chronische Erkrankung, eine Körperbehinderung, die Trennung vom Partner, Arbeitslosigkeit, Essstörungen, Probleme mit Alkohol, Internet und Drogen, Mobbing-Erfahrungen, Trauer um den Verlust einer nahe stehenden Person usw. Angehörige als mittelbar Betroffene gehören ebenfalls zu einer wichtigen Zielgruppe für die Unterstützung durch Selbsthilfekontaktstellen.

Selbsthilfekontaktstellen unterstützen Interessierte und Selbsthilfegruppen unabhängig davon, ob diese einer bestehenden Selbsthilfevereinigung angehören (wollen), ob ihre Mitglieder Versicherte einer bestimmten Krankenkasse sind oder ob sie mit einer bestimmten Versorgungseinrichtung (zum Beispiel einem Krankenhaus) oder mit einer speziellen Berufsgruppe (zum Beispiel Ärzt*innen, Pädagog*innen, Psycholog*innen)
kooperieren wollen.

Besondere Zugangsvoraussetzungen für Nutzende der Angebote (zum Beispiel eine Mitgliedschaft) bestehen nicht. Im System der gesundheitlichen und sozialen Versorgung nehmen Selbsthilfekontaktstellen für Bürger*innen eine Wegweiserfunktion wahr. Um zu Angeboten der Selbsthilfe oder zu Angeboten von Versorgungseinrichtungen zu gelangen, übernehmen sie eine Klärungs- und Schleusenfunktion. Interessierten Fachkräften und Multiplikatoren bieten sie Informationen und Beratung zur Unterstützung der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Für die Zusammenarbeit der Selbsthilfe mit Institutionen, Vereinen, Verbänden und professionellen Einrichtungen auf örtlicher Ebene fungieren sie fachlich und organisatorisch als Drehscheibe.

Selbsthilfekontaktstellen tragen durch Veranstaltungen und eigene Medien (zum Beispiel Gesamttreffen von Selbsthilfegruppen, Diskussionsforen, Selbsthilfetage, Selbsthilfeverzeichnisse, Selbsthilfezeitungen / Newsletter, Kooperationsveranstaltungen mit Institutionen der Versorgung, Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen) und durch die Mitwirkung an Gremien zu einer größeren Bekanntheit und Akzeptanz der Idee der gemeinschaftlichen Selbsthilfe in Öffentlichkeit und Fachwelt und zur Entwicklung eines selbsthilfefreundlichen Klimas im Gemeinwesen bei. Im politischen Geschehen setzen sich Selbsthilfekontaktstellen für Verbesserungen der Rahmen- und Arbeitsbedingungen und für die finanzielle Förderung von Selbsthilfegruppen ein. Insgesamt geht es um die Schaffung eines ‚selbsthilfefreundlichen Klimas‘ in der Gesellschaft.

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Strukturelle Kriterien und Ausstattungsstandards

Personelle Mindestausstattung (vgl. Braun 1991)

  • In Städten und Kreisen mit 100.000 bis 200.000 Einwohnern wird eine personelle Ausstattung von mindestens 1,5 Selbsthilfeberater*innen und eine halbe Verwaltungskraft als Standard definiert.
  • In Städten und Kreisen mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern sind mindestens 2,5 Selbsthilfeberater*innen und eine Verwaltungskraft erforderlich.
  • In Städten und Kreisen mit mehr als 500.000 Einwohnern muss der Personalschlüssel entsprechend der Einwohnerzahl angepasst werden.

Sachliche Ausstattung und Erreichbarkeit (vgl. DAG SHG 2015)

  • sind als eigenständige Einrichtungen bzw. Abteilung erkennbar (z.B. durch eigene Telefonnummer, Briefkopf)
  • halten folgende Bürokapazitäten vor:
    o mindestens zwei Büroräume
    o separate Beratungsmöglichkeit
    o zeitgemäße technische Büroausstattung einschließlich Telefon und Internetzugang
    o haben festgelegte Sprechzeiten