Krisenbegleitung von Selbsthilfegruppen

Gründe für eine Krise in einer Selbsthilfegruppe können sein, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht wurden oder diese unklar oder strittig geworden sind, was dann zu Enttäuschungen und Vorwürfen führte. Oder die Selbsthilfegruppe tritt in ihrer Arbeit auf der Stelle und zweifelt am Sinn ihres Weiterbestehens. Auch können die Möglichkeiten, sich an der Gruppenarbeit aktiv und anerkannt zu beteiligen, sehr ungleich verteilt sein. Beispielsweise dominieren einzelne Personen oder Teilgruppen rivalisieren miteinander. Das alles kann zur Folge haben, dass Teilnehmende wegbleiben, „Neue“ nicht Fuß fassen und die Gruppe Auflösungserscheinungen zeigt.

Wie alle Krisen gehen auch Krisen in Selbsthilfegruppen mit besonderen Belastungen und Gefühlen einher. Andererseits sind sie aber auch eine Chance für einen „Neubeginn“ der Selbsthilfegruppe. Die Bewältigung einer Gruppenkrise bedeutet persönliches und gemeinsames Wachstum, die Entwicklung einer „reiferen“ Problemsicht und Beziehungsdefinition.

Wann erfolgt die Krisenbegleitung

Eine Krisenintervention bei Selbsthilfegruppen durch Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen sollte nur dann durchgeführt werden, wenn alle Mitglieder einer Gruppe dies wünschen. Dadurch wird der Gefahr entgegengewirkt, dass Mitarbeitende als „Koalitionspartner*innen“ von einem Teil der Gruppe „missbraucht“ und bestehende Konflikte und Spaltungstendenzen verstärkt werden.

Krisenintervention ist ein zeitlich begrenztes Geschehen, um einer Gruppe bei der Bewältigung einer akut schwierigen Situation zu helfen. Bei längerer Dauer einer Intervention würde von einer „supervisorischen Begleitung“ gesprochen werden. Die Selbsthilfegruppe würde dann allerdings zu einer angeleiteten Gruppe werden.

Möglichkeiten für die Unterstützung bei Krisen in der Gruppe

Gesamttreffen
Besteht ein Gesamttreffen von Selbsthilfegruppen in der Region, könnte dieses bei einer Krise der angemessene Ort zum Erfahrungsaustausch und zur gemeinsamen Beratung mit anderen Gruppen und Fachleuten sein. Vorsicht: Es geht in einem solchen Fall darum, dass alle Gruppenmitglieder beteiligt und einbezogen sind.

Tandem-Modell
Ein weiterer Ansatz zum Austausch über Krisen und deren Bewältigung mithilfe der Erfahrung anderer Betroffener ist das sogenannte Tandem-Modell, das aber seltener genutzt wird. Eine Selbsthilfegruppe beobachtet eine zweite über eine oder mehrere Sitzungen. Danach findet eine Rückmeldung der Beobachtungen und eine gemeinsame Problemklärung statt. Das Tandem-Modell kann auch wechselseitig zur Problembearbeitung der beiden beteiligten Gruppen eingesetzt werden.

Krisenintervention in Selbsthilfegruppen
Eine Krisenintervention in Selbsthilfegruppen durch den Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstelle beinhaltet, an einer Selbsthilfegruppe beobachtend teilzunehmen und beratend in den Gruppenprozess einzugreifen, um gemeinsam zu verstehen, worin die Krise überhaupt besteht, wie sie entstanden ist und welche Möglichkeiten existieren, sie zu überwinden. Dabei sind gruppeninterne Aspekte wie Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedern oder das Verhalten von Funktionsträger*innen oder Fraktionsbildungen in der Gruppe zu berücksichtigen. Ebenso betrachtet werden müssen Einflüsse von außen, wie Anforderungen von Versorgungseinrichtungen, mit denen eine Kooperation besteht, die aber möglicherweise eine Überforderung bedeuten. Manchmal mag es einfach auch nur der Umstand sein, dass kein gesicherter Raum für die Gruppe zur Verfügung steht, wodurch es zu Unregelmäßigkeiten der Treffen und großer Fluktuation kommen kann. Immer wird es unterschiedliche Ansichten über die Probleme in der Gruppe geben, auch mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, was aber für die Problemaufklärung und -bewältigung nicht störend, sondern notwendig ist.

Einbezug von Supervisor*innen
Wenn sich Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstelle nicht hinreichend qualifiziert für eine Krisenintervention fühlen, können sie Kontakt zu fachlich geschulten professionellen Supervisor*innen vermitteln. Das bringt allerdings nicht selten Probleme mit sich, denn diese Supervisor*innen haben zwar Erfahrungen mit geleiteten beziehungsweise therapeutischen Gruppen, oft aber nicht im Umgang mit Selbsthilfegruppen. Das kann in der Gruppe zu einer Auffassung führen, dass eine Problem- und Konfliktbewältigung ohne fachliche Leitung durch geschulte Professionelle überhaupt nicht gelingen kann.

Beratung und Begleitung von Selbsthilfegruppen

Ablauf der Krisenbewältigung innerhalb der Selbsthilfegruppe

Probleme und Konflikte in Gruppen lassen sich nicht verhindern, sie gehören zur Entwicklung der Gruppe. Jede Selbsthilfegruppe ist von daher gut beraten, Problemen und Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern einen aktiven Umgang damit zu pflegen. Es lohnt sich dabei, der Grundregel „Störungen haben Vorrang“ einen hohen Stellenwert in der Gruppenarbeit zu geben. Wenn Störungen frühzeitig angesprochen werden können, sind sie meist leichter zu beheben, als wenn sich etwas bereits länger aufgestaut hat.

Wenn über eine Störung, ein Problem, ein Konflikt oder sogar eine Krise gesprochen werden soll, ist es wichtig, das Einverständnis aller Beteiligten dazu einzuholen. Nachfolgend wird zur Vereinfachung der Begriff Krise verwendet.

Wenn das Problem bereits in einer Krise mündet, sollte die Gruppe immer überprüfen, ob sie sich selbst in der Lage sieht, die Krise zu bearbeiten oder ob es sinnvoll ist, professionelle Hilfe von außen zu organisieren. Für beides ist Konsens notwendig.

Wenn die Gruppe sich entscheidet, die Krise in Eigenregie zu lösen, kann die Beachtung folgender Punkte hilfreich sein:

  • Ein Gruppenmitglied, welches selbst nicht oder nur wenig in die Krisensituation involviert ist, übernimmt die Moderation.
  • Bei der Bearbeitung der Krise ist es wichtig, dass sich alle an vorher festgelegte Regeln wie „ausreden lassen“, „keine Beschimpfungen“ und so weiter halten. Die Moderation achtet darauf, dass diese Regeln eingehalten werden.
  • In einem ersten Schritt werden die Sichtweisen aller Beteiligten bezogen auf die Krise gehört. Bevor ein Dialog oder eine Aussprache beginnt, muss jeder die Möglichkeit gehabt haben, ungestört seine subjektive Wahrnehmung der Situation zu artikulieren. Meist liegt hier der Schlüssel zur Lösung der Krise.
  • Sollte dieser Schritt bereits dazu geführt haben, dass innerhalb der Gruppe ein besseres Verständnis für die Positionen der anderen entstanden ist, können die Beteiligten Wünsche aneinander formulieren, wie sie die Krise lösen und den zukünftigen Umgang miteinander gestalten wollen.
  • Sollte die Krise trotz längerer Aussprache nicht zu lösen sein, stellt sich die Frage, ob die Gruppe mit der Krise weiterleben kann. Welche Konsequenz hat es, wenn die Krise weiter bestehen bleibt? Kann die Gruppe in der bestehenden Zusammensetzung weiterarbeiten? Wenn eine Trennung, Aufteilung oder sogar Auflösung notwendig ist – wie sollte diese erfolgen, ohne dass zusätzliche Verletzungen dabei entstehen (Liefert 2019).

Analysebogen von Krisensituationen für Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen

Wenn eine Selbsthilfegruppe einen Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstelle bittet, bei der Krisenbegleitung innerhalb der Gruppe zu helfen, sind folgende Frage zur Analyse der Krise sinnvoll:

  1. Was weiß ich bisher von der Krise? Von wem habe ich davon erfahren, welche Sichtweisen über die Krise habe ich vermittelt bekommen?
  2. Welche Erwartungen gibt es von Seiten der Gruppe beziehungsweise Einzelner an die Kontaktstelle? Welche Rolle bin ich bereit zu übernehmen oder auch nicht?
  3. Einstufung auf der Skala: Handelt es sich bereits um eine Krise oder eher um ein
    Problem, bei dem eine schnelle Lösung gefunden werden kann? Ein Beispiel wäre ein unpünktlicher Start der Gruppe. Oder handelt es sich in der Tat um eine Krise, bei der eine eigene Lösungsfindung innerhalb der Gruppe nicht mehr möglich ist?
  4. Wie ist die Krise entstanden?
  5. Wer ist an der Krise beteiligt?
  6. Welche Gefühle sind mit der Krise und ihren Auswirkungen verbunden? Wie groß sind die persönlichen Kränkungen bei den Beteiligten?
  7. Wer hat was von der Krise? Welche Ideen habe ich zur weiteren Bearbeitung der Krise? Was könnten die ersten Schritte dazu sein? Hier sollten sich der / die Falleinbringer*in erst einmal zurücklehnen und hören, welche Ideen die Zuhörer haben (Liefert 2019).

Beratung und Begleitung von Selbsthilfegruppen

Krisen vorbeugen: Was Mitarbeitende von Selbsthilfekontaktstellen tun können

  • Fortbildung anbieten, zum Beispiel über Gruppendynamik, Rollen in der Gruppe, Moderationstechniken
  • In Krisensituationen Beratung anbieten, zum Beispiel Supervision
  • Austausch mit anderen Aktiven in Foren, gemeinsame Fortbildungen organisieren, zum Beispiel über „Wie kann es gelingen, Aufgaben zu verteilen und möglichst viele am Gruppenprozess zu beteiligen?“
  • Gruppen immer wieder an den Grundgedanken der Selbsthilfe erinnern: Ich bin für mich verantwortlich und auch jedes Gruppenmitglied ist für sich verantwortlich. Gemeinsam achten wir darauf, dass es uns gut geht miteinander.
  • Einladen zur Reflektion der eigenen Rolle: Welche Rolle habe ich? Was gefällt mir daran, was möchte ich verändern? Was möchte ich abgeben? Stimmt die Rolle noch für mich (Liefert 2019)?

Quellennachweise

Liefert, Götz: Krisen bewältigen, Überforderung vermeiden. Unveröffentlichtes Skript zur gleichnamigen NAKOS-Fortbildung. Berlin 2019

NAKOS (Hrsg.): Selbsthilfe unterstützen. Fachliche Grundlagen für die Arbeit in Selbsthilfekontaktstellen und anderen Unterstützungseinrichtungen. NAKOS Konzepte und Praxis 1. Berlin 2006
https://www.nakos.de/publikationen/key@100