Erstkontakt und Klärungsgespräch mit Interessierten

Interessierte können sich per E-Mail oder telefonisch und persönlich während der Beratungszeiten an eine Selbsthilfekontaktstelle wenden. Das Erstgespräch, das sogenannte Klärungsgespräch, dient der Orientierung und Motivationsklärung der Betroffenen oder deren Angehörigen. Es soll die Entscheidung zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe erleichtern, über die Nutzung von Versorgungsangeboten oder anderen unterstützenden Maßnahmen informieren sowie zur Gruppengründung ermutigen.

Das Klärungsgespräch: Inhalt und Ablauf

Das Klärungsgespräch erfolgt bereits während des Erstkontakts mit einer interessierten Person oder es wird ein separater Termin dafür während des ersten Gesprächs vereinbart.
Interessierten soll im Verlauf des Klärungsgespräches bewusst werden, welche Bedürfnisse und Vorstellungen sie bezüglich der Bearbeitung der eigenen Schwierigkeiten beziehungsweise Probleme haben.
Die Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstelle informieren dabei über die Prinzipien und die Arbeitsweise von Selbsthilfegruppen, über ihre Möglichkeiten und Grenzen. Die interessierte Person prüft, ob die Mitwirkung an einer Selbsthilfegruppe den Wünschen und Vorstellungen entspricht oder ob andere Wege eingeschlagen und gegebenenfalls Versorgungs- oder Bildungsangebote in Anspruch genommen werden möchten.

Im Gegensatz zu einem therapeutischen Erstgespräch hat das Klärungsgespräch in der Selbsthilfeunterstützung nicht das Ziel, die Schwierigkeiten inhaltlich zu klären und eine längerfristige Zusammenarbeit zu verabreden. Das Klärungsgespräch beinhaltet keine Problemberatung, sondern es dient der Vorbereitung von Interessierten auf die eigenständige Bearbeitung ihres Problems in der Selbsthilfegruppe. Es ist in aller Regel auf ein einziges Treffen begrenzt.

Die Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstellen sind für den Verlauf und die Struktur des Klärungsgesprächs verantwortlich. Die Mitarbeitenden tragen die Verantwortung dafür, dass der Zweck des Klärungsgesprächs den Interessenten deutlich wird und die Person freie Entscheidungen treffen kann.

Ablauf eines Klärungsgesprächs

Im Verlauf des Klärungsgesprächs bewegen sich Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen und Interessierte auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen:

Interessierte:

  • Interessierte beschreiben, warum und mit welchen Motiven sie die Selbsthilfekontaktstelle aufgesucht haben.
  • Sie skizzieren jeweils das Problembündel, das sie hergeführt hat.
  • Sie beschreiben jeweils die Wünsche und Bedürfnisse zur Bearbeitung ihrer Probleme.
  • Sie entscheiden sich für oder gegen die Arbeit in einer Selbsthilfegruppe oder verabreden mit den Unterstützenden einen Zeitraum oder Zeitpunkt für die Entscheidung.

Mitarbeitende: 

  • Die Unterstützenden helfen Interessierten, ihr Problem zu definieren.
  • Sie erläutern die allgemeinen Prinzipien von Selbsthilfegruppen.
  • Sie erklären die Arbeitsweise bestimmter Selbsthilfegruppen und machen die Unterschiede zwischen verschiedenen Selbsthilfeansätzen deutlich.
  • Sie weisen auf Alternativen zur Arbeit in einer Selbsthilfegruppe hin und erörtern mit den Interessierten, wie diese realisiert werden können.

Gemeinsam: 

  • Gemeinsam wird überprüft, ob die aktuellen Wünsche und Bedürfnisse der Interessierten in einer Selbsthilfegruppe befriedigt werden können.
  • Gemeinsam wird überlegt, ob die Bereitschaft und die Kräfte der Interessierten für die Arbeit in einer Selbsthilfegruppe ausreichen.
  • Gemeinsam wird verabredet, wie Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe hergestellt und wie man Mitglied werden kann.
  • Gemeinsam wird gegebenenfalls die Gründung einer neuen Selbsthilfegruppe besprochen (Matzat 2003).

Das Klärungsgespräch: Rolle der Mitarbeitenden

Das Klärungsgespräch, wie auch die Beratung und Begleitung von Selbsthilfegruppen, verlangt vom Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstelle ein hohes Maß an Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle und Rollendistanz – auch und gerade hinsichtlich des Einsatzes eigener, beispielsweise in der Ausbildung erworbener fachlicher Kompetenzen. Es besteht die Herausforderung, den Gesprächspartner*innen solidarisch und einfühlsam zu begegnen und gleichzeitig die gebotene Distanz zu Person und Problemen zu wahren.

Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen sollten sich bewusst machen, dass sie verleitet sein können, Interessierte in unzulässiger Weise zur Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe zu drängen, zum Beispiel durch

  • das eigene, möglicherweise idealisierte Bild von Selbsthilfegruppen,
  • Anfragen von Selbsthilfegruppen nach neuen Mitgliedern und
  • Erwartungen des Trägers oder von Geldgebern, „möglichst viele Selbsthilfegruppen zu gründen” oder „möglichst viele Menschen in Selbsthilfegruppen zu vermitteln“.

Die Aufgabe von Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstellen ist es nicht, Verantwortung für die Entscheidung von Interessierten, wohl aber für den Entscheidungsprozess, das heisst für den dynamischen Verlauf und für die Struktur des Gesprächs zu übernehmen. Aus diesem Grund

  • machen sie die Funktion des Gesprächs und ihre Funktion als Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen deutlich,
  • geben sie den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen vor,
  • arbeiten sie mit Interessierten deren persönliche Fragen und Motive heraus,
  • halten sie Zwischenergebnisse fest und geben Interessierten die Möglichkeit, sie zu überprüfen,
  • vermitteln sie Informationen und überprüfen durch Nachfragen, ob sie verstanden worden sind und
  • achten sie darauf, dass das Gespräch mit einer Entscheidung der Interessierten endet.

Folgende Leitsätze unterstützen die Mitarbeitenden bei der Beratung von Betroffenen und Angehörigen:

  • Mit den Betroffenen arbeiten statt für die Betroffenen.
  • An deren Fähigkeiten für die Problemlösungsansätze anknüpfen.
  • Zutrauen haben, dass die von Betroffenen selbst gesuchten Lösungswege funktionieren, statt diese und ihre Umsetzung vorzugeben.
  • Eine Komm- und Gehstruktur schaffen.
  • Betroffene miteinander in Kontakt bringen – Kooperationen und Vernetzung aufbauen.
  • Mit den Ratsuchenden Erfolgskriterien festlegen, woran erkannt wird, dass über das Zusammenwirken von Laienwissen und Expert*innenwissen ein vereinbartes Ziel erreicht ist.

Das Klärungsgespräch: Beziehung der Gesprächspartner*innen

Im Klärungsgespräch sind Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen meist die ersten Außenstehenden und nicht mit Versorgungsaufgaben betrauten Partner*innen, denen „Betroffene“ ihre Problematik offenbaren. Diese gehen damit einen ersten Schritt heraus aus ihrer Isolation. Nach dem Klärungsgespräch muss die betroffene Person ohne unterstützenden Beistand an der eigenen Problematik weiterarbeiten. In der Beziehung zwischen Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstelle und den Betroffenen wird eine Problembearbeitung nur angestoßen, die in einer Selbsthilfegruppe stattfinden soll. Daher haben Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen im Klärungsgespräch lediglich eine Brückenfunktion: Sie ermutigen Selbsthilfeinteressierte, sich zu artikulieren und sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen. Sie bereiten auf die Arbeit in einer zukünftigen Selbsthilfegruppe vor, geben Orientierung sowie Hinweise im Hinblick auf andere Möglichkeiten der Problembearbeitung und helfen bei der Entscheidungsfindung.

Ambivalenzen erkennen und auflösen

Im Klärungsgespräch setzen sich Betroffene mit ihren Wünschen und Möglichkeiten an eine eigenständige Problembearbeitung auseinander. In Hinblick auf eine solche Problembewältigung sind viele Betroffene ambivalent: Sie fühlen sich zugleich angezogen und abgeschreckt davon, ihre Probleme in einer Gruppe zwar Gleichbetroffener, aber Fremder offenzulegen, in der es keine Leitungsperson gibt, die für die Problemlösung verantwortlich ist.

Interessierte signalisieren öfter Ängstlichkeit vor der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe und gleichzeitig sehr hohe Erwartungen an den Erfolg der Gruppenarbeit. Viele wünschen sich eine dauerhafte Hilfe durch die Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstellen. Sie reagieren enttäuscht oder verärgert, wenn ihnen bewusst wird, dass die Mitarbeitenden der Selbsthilfekontaktstellen die Einzelberatung auf das Klärungsgespräch beschränken und auch die Selbsthilfegruppe nicht leiten werden. Mitarbeitende fühlen sich dann oft im Gegenzug zur Zuwendung aufgefordert oder sind versucht, selbst verärgert oder ablehnend zu reagieren beziehungsweise verspüren die Neigung, für die betroffene Person Entscheidungen zu treffen.

Für Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen besteht in einer solchen Situation die Gefahr, Interessierte zur Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe zu überreden. Ein solches „Überreden“ hätte aber zur Folge, dass Interessierte sich einer Selbsthilfegruppe anschließen, ohne ihre Bedürfnisse und Motive für die Arbeit in der Gruppe wirklich geklärt zu haben. Sie wären zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe nicht wirklich bereit. Dann kann es passieren, dass sie versuchen, Mitglieder ihrer Gruppe in Positionen zu drängen, in denen diese ihnen helfen und für sie die Verantwortung übernehmen sollen. Dadurch käme es wahrscheinlich in der Gruppe zu Spannungen, die alle Mitglieder belasten würden. „Überredete“ Interessierte könnten resignieren und sich daraufhin enttäuscht aus der Selbsthilfegruppe zurückziehen.

Die dargestellten Ambivalenzen müssen im Klärungsgespräch angemessen aufgelöst werden. Mitarbeitende der Selbsthilfekontaktstellen müssen die widerstreitenden Signale von Interessierten bewusst aufgreifen und ansprechen. Nötig ist dafür ein offenes, vertrauensvolles Klima, in dem Ängste und Befürchtungen, Erwartungen und Hoffnungen ausgesprochen werden können. Die Interessierten sollen ernst und angenommen werden, damit sie ihre Gefühle selbst verstehen und ihre Entscheidungen abwägen können. Sie werden weder reglementiert noch beschwichtigt und müssen sich letztlich selbst für oder gegen die Arbeit in einer Selbsthilfegruppe entscheiden.

Quellennachweise

Matzat, Jürgen: Zur Kooperation von Selbsthilfe und Rehabilitation. Bemerkungen aus der Selbsthilfekontaktstellen- Perspektive. In: NAKOS EXTRA 34, Themenheft „Kooperation von Selbsthilfekontaktstellen und Rehabilitationskliniken“. Berlin 2003, S. 69-77

NAKOS (Hrsg.): Selbsthilfe unterstützen. Fachliche Grundlagen für die Arbeit in Selbsthilfekontaktstellen und anderen Unterstützungseinrichtungen. NAKOS Konzepte und Praxis 1. Berlin 2006
https://www.nakos.de/publikationen/key@100

NAKOS (Hrsg.); Beier, Niclas / Hundertmark-Mayser, Jutta: Arbeitsmappe Arbeiten in Selbsthilfekontaktstellen. Berlin 2018